Interview mit Herr Dr. med. Lehner

Im Rahmen der Projektwoche hatten wir die Möglichkeit, mit dem Rheumatologen Dr. med. Lehner zu sprechen. Er konnte uns viele spannende und hilfreiche Informationen geben. Die wichtigsten Informationen finden sie im untenstehenden Text zusammengefasst.

Dr. med. Reinhard Lehner, gebürtiger Österreicher, lebt und arbeitet seit 16 Jahren als Arzt in der Schweiz. Er studierte Medizin und wählte später die Ausbildung zum Facharzt für Rheumatologie. Je länger er sich während des Studiums und der Ausbildung mit Rheumaerkrankungen auseinandersetzte, desto mehr interessierte und faszinierte er sich für diese teils sehr komplexen Krankheitsbilder. Heute führt er mit seinem Praxispartner Dr. med. Bruno Müller eine rheumatologische Praxis im Ärztehaus Sarnen.

Studierende: Werden Sie oft mit Morbus Bechterew konfrontiert oder behandeln Sie die Krankheit eher selten?

 

Dr. med. Lehner: Ich behandle viele Patienten, die unter einer Krankheit aus der Gruppe der Spondarthropathien leiden, zu der auch der Morbus Bechterew (Synonym: Spondylitis ankylosans) gehört. Haben Menschen Beschwerden, gehen diese i.d.R. zuerst zu ihrem Hausarzt. Hat der Hausarzt den Verdacht, dass es sich um eine rheumatologische Krankheit handeln könnte, schickt er diese weiter zu einem Rheumatologen, um die richtige Diagnose erstellen zu lassen und eine Therapieempfehlung abzugeben. Der Rheumatologe sieht also bereits eine ausgewählte Patientengruppe, bei der die Wahrscheinlichkeit grösser ist, dass eine entzündlich-rheumatische Krankheit diagnostiziert wird.

 

Studierende:  Welche Altersgruppe ist bei Ihnen am häufigsten vertreten?

 

Dr. med. Lehner: Rheumatologische Erkrankungen und auch die Spondarthropathien können praktisch in jedem Alter auftreten. Relativ häufig bricht diese Erkrankung jedoch im jungen Erwachsenenalter aus. Die Diagnose wird allerdings leider oft viel später gestellt, da es sich beim Morbus Bechterew um eine schleichende Erkrankung handelt und charakteristische Befunde manchmal erst nach Jahren nachzuweisen sind. Deshalb kann man diese Erkrankung leider oft erst mit Sicherheit diagnostizieren, wenn sie bereits  fortgeschritten ist.

Das Ziel liegt aber klar in der Früherkennung und einem frühen Beginn einer adäquaten Therapie, um die Krankheit günstig zu beeinflussen. Moderne Untersuchungsmethoden und Therapiekonzepte helfen uns dabei.  

 

Studierende: Sind Leute, die aktiv Sport machen, seltener betroffen als andere?

 

Dr. med. Lehner: Nein, seltener nicht, das hat nichts damit zu tun, aber Sport kann die Krankheit günstig beeinflussen, so dass weniger Symptome vorhanden sind. Warum die Krankheit ausbricht, ist immer noch unklar. Es gibt einen genetischen Marker, HLA-B27, der auch bei Gesunden in 8% bei der Schweizer Bevölkerung  vorhanden ist, aber bei Patienten mit Morbus Bechterew in ca. 95% der Fälle gefunden wird. HLA B 27 ist also «nur» ein weiterer Puzzle-Stein zur Diagnosesicherung.

 

Studierende: Gibt es für Betroffene spezielle Betten oder andere Vorrichtungen?

 

Dr. med. Lehner: Für viele Patienten ist dies nicht nötig, manche benötigen aber Hilfsmittel im Alltag. In sehr schweren Fällen leiden die Betroffenen neben Schmerzen unter starken Bewegungseinschränkungen, aufgrund einer nicht mehr beweglichen da zu einem grossen Teil knöchern-versteiften Wirbelsäule. Dann können Hilfsmittel wie ein Stock oder ein elektrisch-verstellbares Bett helfen. Das Ziel des Rheumatologen ist jedoch, wie bereits erwähnt, dass man solch schwere Verläufe so gut wie möglich verhindern bzw. positiv beeinflussen kann.

 

Studierende: Gibt es Risiken für das Kind oder während der Geburt, wenn eine Frau mit Morbus Bechterew schwanger wird?

 

Dr. med. Lehner: Für das Kind bestehen i.d.R. abgesehen von den normalen, natürlichen Risiken, die eine Schwangerschaft mit sich bringt, keine zusätzlichen Risiken. Zu berücksichtigen sind jedoch allfällige Medikamente, von denen manche in der Schwangerschaft gut eingesetzt werden können, andere wiederum sind für Schwangere und das ungeborene Kind ungeeignet. Es kann auch sein, dass es in den Iliosakralgelenken (Kreuz-Darmbein-Gelenke) oder bei der Symphyse (Schambeinfuge) der Mutter schwangerschaftsbedingt zu vermehrten Schmerzen kommen kann. Bei Bedarf koordinieren sich der behandelnde Rheumatologe mit der behandelnden Gynäkologin bzw. dem Gynäkologen und arbeiten für die Patientin zusammen.

 

Studierende: Hat Morbus Bechterew einen Einfluss auf das Blutspenden?

 

Dr. med. Lehner: Betroffene können theoretisch ganz normal Blut spenden. Sind jedoch neben Morbus Bechterew andere Begleiterkrankungen vorhanden oder werden Medikamente eingenommen wird dies individuell entschieden.  

 

Studierende: Warum ist der Krankheitsverlauf bei Frauen oft milder als bei Männern?

 

Dr. med. Lehner: Wir wissen das nicht genau. Aus Beobachtung und Statistiken wissen wir, dass Männer sehr viel häufiger betroffen sind als Frauen und dass bei Männern der Krankheitsverlauf durchschnittlich schwerer ist als bei Frauen. Möglicherweise spielt der Hormonstatus eine Rolle.

 

Studierende: In welchen Fällen führt man Operationen durch?

 

Dr. med. Lehner: Operationen braucht es nur in sehr schweren Fällen. Man unterscheidet zwei unterschiedliche Befallsmuster: einerseits der Befall der Wirbelsäule, anderseits der Befall der peripheren Gelenke (alle Gelenke ausser der Wirbelsäule). Wenn ein peripheres Gelenk durch eine Entzündung zerstört worden ist, es seine Funktion nicht mehr erfüllt und der Patient sehr starke Schmerzen hat, werden diese Gelenke durch eine Prothese ersetzt. Dann koordiniert sich der Rheumatologe mit einem Orthopäden. Die Wirbelsäule kann äusserst selten chirurgisch «aufgerichtet» werden. Das erlebe ich in meiner Praxis praktisch nie.

 

Studierende: Was empfehlen Sie den Patienten, wenn Sie die Diagnose Morbus Bechterew erstellen?

 

Dr. med. Lehner: Es gibt drei wichtige Behandlungsprinzipien. Das erste Behandlungsprinzip ist ausführliche Information über die Erkrankung. Die Patienten erhalten neben einer persönlichen Aufklärung weiteres Informationsmaterial und zwei Links: www.bechterew.ch und www.bechterew.de. Dadurch werden sie mit der Zeit zu Experten der eigenen Erkrankung und können im direkten Arzt-Patientengespräch ihre Anliegen gut vertreten, was ihre Behandlungs- und Lebensqualität verbessert.  Das zweite Behandlungsprinzip ist Bewegung. Es ist ganz wichtig, dass die Patienten sich bewegen, um Schmerzen zu lindern und die Beweglichkeit zu erhalten. Daher erlernen sie bei Physiotherapeuten Heimübungen, die sie täglich ausüben. Bewegung wirkt sich positiv auf die Krankheit aus. Ein weiteres Behandlungsprinzip sind Medikamente. Es gibt unterschiedliche Medikamente, die je nach Befallsmuster und Schwere der Krankheit eingesetzt werden.

 

Studierende: Wenn es einem Patienten wieder gut geht, wie sieht dann die Wirbelsäule aus?

 

Dr. med. Lehner: Die Gelenke, die zuvor bereits versteift waren, bleiben versteift. Durch Medikamente und regelmässige Bewegung kann das Fortschreiten der Erkrankung hinausgezögert, im besten Fall verhindert werden.

 

Studierende: Woher kommen die Schmerzschübe und wie entsteht so ein Schub?

 

Dr. med. Lehner: Das weiss man nicht genau. Die Verläufe sind individuell unterschiedlich. Es hat auch nicht jeder Patient einen Schmerzschub. Es gibt Patienten, bei denen die Krankheitsaktivität ständig gleichförmig vorhanden ist. Und es gibt Patienten bei denen Phasen mit niedriger und hoher Krankheitsaktivität abwechseln, aber der konkrete Auslöser dafür ist oft unbekannt.

 

Studierende: Dr. med. Lehner, vielen Dank für das interessante Gespräch!

 

Interview durchgeführt am 22.09.2017 in der Rheumatologischen Praxis im Ärztehaus Sarnen